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einführung von timm starl zu

ulli klepalski
text überlegt

gehalten am 26.11.2001

sehr geehrte damen und herren,
liebe freunde!

als ich mit helen knopp-rupertsberger zum ersten mal ulli klepalski in ihrem atelier aufgesucht habe, ist etwas seltsames geschehen. nicht die bilder, die dort an der wand hängen oder am boden stehen, sind mir aufgefallen, sondern einige bücher, die auf einem tisch gelegen sind. irgendwie war ich irritiert, was wohl mit meinen überkommenen vorstellungen von künstlern und ihren arbeitsweisen zusammenhängt. das wiederum resultiert aus der erfahrung, daß ich meist ateliers von fotografen besuche und bei diesen immer nur bücher über fotografie - oder neuerdings solche zu den neuen medien - vorfinde. besonders fasziniert hat mich jedoch, daß ich mit zwei autoren konfrontiert gewesen bin, die ich besonders schätze bzw. einen von ihnen ja geradezu verehre. es handelt sich um lászló földényi, einen ungarischen essayisten, der ein wunderbares buch über die melancholie und zahlreiche texte zur literatur und kunst geschrieben hat. der andere ist hermann broch, dessen roman der tod des vergil zu meinen liebsten büchern zählt und der u.a. über philosophische fragen ebenso nachgedacht hat wie über den kitsch und andere themen.

zunächst denkt man: wie schön, daß jemand dieselben vorlieben hat! doch als ich mich den bildern zugewandt habe, zeigte sich, daß es sich bei den büchern nicht um eine lektüre zur entspannung handelt, sondern die texte ihren niederschlag in den bildern der künstlerin finden. es verhält sich jedoch nicht so, daß zitate wie bildtitel die szenerie beherrschen oder dieser wie aperçus eine pointe verleihen. vielmehr umkreisen sie entweder - insbesondere in den gemälden - das bildliche geschehen, wobei es gelegentlich so aussieht, als würde die schrift mit dem bild einen kampf ausfechten, sich beide bedrängen und messen. dann wieder - mehr in den zeichnungen und radierungen - dringt die wortfolge gleichsam in die linien und farben bzw. schlängelt sich anmutig durch das bild, berührt ansatzweise eine figur, löst sich von ihr - wird schließlich selbst zur form, die die form der bildlichen darstellung bestimmt. umgekehrt illustrieren die gezeichneten oder gemalten darstellungen nicht die textfolge, wie sie auch nicht der sprachlichen erläuterung bedürfen. denn auch sie nähern sich entweder entschieden oder gleichfalls spielerisch den sprachlichen bildern, überdecken sie und unterlaufen sie, betonen sie oder legen sich wie ein schleier über sie.

der reiz von klepalskis arbeiten besteht darin, daß sie ständig auf etwas verweist, was sich außerhalb von ihnen befindet, nämlich jenseits der bilder und jenseits der sprache. dieses jenseits liegt nicht im abstrakten oder im alltäglichen, sondern es füllt jenen bereich aus, der zwischen wirklichkeit und unwirklichkeit situiert ist. es ist die zwischenwelt, die man manchmal im aufwachen erlebt, wenn man nicht weiß, ob das, was man sieht, noch zum traum gehört oder zu den realen dingen, von denen man umgeben ist. es ist der augenblick des durchganges, wenn das vorher und nachher ineinander gehen und nicht zu unterscheiden sind. auf eben dieser schwelle begegnet die künstlerin den dichtern und schriftstellern, die sich ebenso gerne in diesen sphären aufhalten, z.b. hölderlin oder kleist; vor allem aber hermann broch, der diesen schwebezustand in zahlreichen seiner schriften anklingen läßt - sei es als thema oder im entwurf eines sprachbildes. deshalb liebt er die bestimmung in der verneinung, also die definition von etwas durch die formulierung dessen, was es nicht ist. dabei kommen sich das sichtbare und das abwesende, das präsente wie das vorgestellte gelegentlich in die quere.
eine so bezeichnende wie schöne stelle möchte ich gerne kurz anklingen lassen: es geht um einen "[...] schmetterling, der eine zeitlang vor dem kinde her geflattert ist" und dann fortfliegt, und der autor meint dazu, dies sei "bloß in den augen der erwachsenen belanglos, weil diese nicht zu sehen vermögen, daß die seele des schmetterlings, nicht er selber, dennoch er selber es ist, der das kind verlassen hat."

dieses gleichzeitige fort und da - oder besser: fort und nicht-fort, da und nicht-da - sind es, die brochs zwischenwelt ausmachen. für ihn ist die welt jene welt des außerhalb, die nur zu erfahren ist, wenn man hinter die sprache tritt. dieses erfahren erschließt sich nur in einem gleichsam schlafwandlerischen vorgang - und nicht ohne grund heißt die trilogie, in der der schmetterling auftaucht, die schlafwandler. ulli klepalski folgt dieser spur brochs, teilweise mit anderen mitteln und auf einem anderen weg. sie inszeniert ihren kosmos der vakanz in den bildern, die immer auch solche der sprache sind. es reicht allerdings nicht, diese bilder zu betrachten: man muß sie lesen, indem man hinter das tritt, was sie zeigen. damit ihnen dies leichter fällt, hat die künstlerin einige textstücke von geschätzten autoren - nicht nur solche von hermann broch - ausgewählt, in einer mappe zusammengefaßt und wiedergaben ihrer bilder gegenübergestellt. und wir haben ingrid popper gebeten, einige stellen daraus vorzulesen, allerdings nicht direkt im anschluß an meine ausführungen, sondern etwas später, wenn sie die ausgestellten werke in ruhe betrachtet haben. wozu ich ihnen viel vergnügen wünsche!

copyright beim autor

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